Wind von vorne

Leinen los. Die LISA VON LÜBECK legt vom Ostpreussenkai in Travemünde ab. Ich stehe auf dem Achterkastell und beobachte das Manöver. Neben mir Kapitän Dieter Baars, ein Kapitän der ersten Stunde. Wir unterhalten uns über das Segeln mit der Kraweel. So erfahre ich, dass die LISA VON LÜBECK 60 Grad am Wind schafft. Er kennt die Kraweel wie kein anderer. Schon die Planung und den Bau des Hanseschiffes hat er begleitet. Seit der ersten Fahrt ist er fast immer dabei.

Die Kraweel war zur Hansezeit im 15. Jahrhundert eine signifikante Weiterentwicklung der bis dahin bekannten Koggen. Die Kraweel-Schiffe waren grösser und seetüchtiger. Durch den glatt beplankten Rumpf waren auch höhere Geschwindigkeiten möglich.

Heute sind wir an Bord der LISA VON LÜBECK auf den Spuren der Hanse.

Es sind gleich mehrere Kapitäne auf der Lisa von Lübeck. Aber nur einer hat während der Fahrt das Kommando. Die LISA VON LÜBECK wird eben professionell geführt.
Befehle werden vom Bootsmann an die Mannschaft gegeben. Laut quittiert die Mannschaft den Befehl. Die Mannschaft ist eingespielt. Vor jedem Saisonstart gibt es eine Trainingsfahrt, in der alle Manöver durchgespielt werden. Durch Rotationen auf den Positionen kann jeder eigentlich alles machen. Es gibt für die Fahrten einen Rollenplan. 12 Mann werden für die Bedienung der Kraweel als Minimum benötigt.
Überhaupt wird Sicherheit auf der LISA VON LÜBECK groß geschrieben. Vor dem Auslaufen gibt es auf dem Hauptdeck für alle eine Sicherheitseinweisung.

Und ein Grinsen auf den Gesichtern der Gäste. Jetzt wissen sie, was in den auffälligen Fässern mit der Aufschrift „Rotspon“ und „Rum aus Jamaica“ tatsächlich enthalten ist.
In den beiden Fässern sind die Rettungsinseln…

Unsere Blicke gehen zur Nordermole. Ein frischer Nordost schiebt mit langem Anlauf die hohen Wellen über die Ostsee nach Travemünde. „6 Beaufort“, brummt der Kapitän. „Wir werden mal die Nase in den Wind stecken …“

Der kräftige Motor schiebt die LISA VON LÜBECK durch die hohen Wellen und gegen den Wind. Achteraus sehen wir die PASSAT und das Maritim Hotel.
Immer wieder krachen die Wellen gegen den Rumpf. Spritzwasser schiesst empor. Die Gäste staunen über das Naturschauspiel. Hier draussen vor der Nordermole toben sich die Wellen aus. Stundenlang kann ich die Welt der Wellen beobachten. Nie würde es mir langweilig werden. In jeder Minute verändert sich diese Welt. Ich empfinde einen grossen Respekt vor der Ostsee.

Die LISA VON LÜBECK lässt sich davon nicht beeindrucken und bahnt sich ihren Weg durch die Wellen. Kurze Zeit später heißt es: „Vorsegel setzen“. Die Mannschaft hängt sich in die Seile und das große Vorsegel wird vom frischen Nordost gefüllt. Die LISA VON LÜBECK ist in ihrem Element.

Vor dem Wind geht es nun nach Travemünde zurück. Segelfeeling wie zur Zeit der Hanse. Bei dieser Windstärke reicht alleine das Vorsegel. Mehr Segelfläche heisst nicht immer schneller sein. Wir geniessen das Segeln und lassen uns den Wind um die Nase wehen.

Vor uns taucht bereits die Nordermole auf. Imposant grüßen die Masten der PASSAT. Spaziergänger bleiben stehen und schauen nach der LISA VON LÜBECK. Ein tolles Bild, wenn die LISA VON LÜBECK unter Segeln den Hafen ansteuert. Fotoapparate werden gezückt. Auch ich erfreue mich immer wieder am Anblick unserer LISA VON LÜBECK.

Noch eine kleine Hafenrundfahrt. Vorbei an den großen Skandinavienfähren. Die Gäste sind begeistert. Nach dem Anlegen sitzen wir noch kurz zusammen. Für die Mannschaft ist es nur eine Pause. Denn kurz danach geht es gegen den immer noch stark wehenden Nordost auf die Reise. Die LISA VON LÜBECK nimmt am Hamburger Hafengeburtstag teil. Eine Reise gegen den starken Wind und hohe Wellen bis zur Nordost-Ecke Fehmarns, durch den Fehmarnbelt und die Kieler Bucht in den Nord-Ostsee-Kanal.

Der Zufall will es, dass ich zwei Tage später unsere LISA VON LÜBECK abends beim Einlaufen im Hamburger Hafen begrüße. Bine und Axel winken mir zu. Ich freue mich, die sympathische LISA-Crew wiederzusehen.

Mai 17, 2017
Oliver Meiske